Liebe und Schicksal


Geschichten aus Petrópolis – Band 2: Liebe und Schicksal
In den nebelverhangenen Straßen von Petrópolis erzählt jede Ecke, jede Melodie und jeder vergessene Brief von einer Liebe, die einst war – oder vielleicht noch ist.
„Liebe und Schicksal“ verwebt feinfühlige Erzählkunst mit der Magie einer Stadt, die mehr kennt, als sie preisgibt.
Erleben Sie berührende Geschichten von verlorenen Träumen, mutigen Herzen und Begegnungen, die das Schicksal neu schreiben.
Vergangene Zeiten spiegeln sich in der Gegenwart wider, während die Figuren – zerrissen zwischen Hoffnung und Zweifel – nach ihrem Platz in einer Welt suchen, die niemals stillsteht.
Dieses Buch ist eine Hommage an die Liebe in all ihren Facetten – leise, bittersüß, leidenschaftlich und unvergänglich.
Eine Reise, die zeigt, dass manche Geschichten nie wirklich enden… sie werden einfach weitererzählt.
Tauchen Sie ein in die Magie von Petrópolis – und lassen Sie sich verzaubern.
Und die Reise?
Sie ist noch nicht zu Ende.
Petrópolis wartet. Band 3 folgt.
Leseprobe:
Der Regen hatte die Steinstufen vor der Kathedrale São Pedro de Alcântara gewaschen, als wollte er die Spuren der Geschichte fortspülen – jene vergessenen Worte, verlorenen Blicke und verstummten Schwüre, die zwischen den Mauern des gotischen Baus wie Schatten verweilten. Das Licht der Morgendämmerung durchbrach den Nebel, der sich wie ein atmender Schleier um die Säulen legte, und ließ das nasse Pflaster der Rua do Imperador in blassem Gold schimmern.
Auf der Bank am Rande des Platzes saß er – der alte Geschichtenerzähler, den alle nur „Seu Conto“ nannten. Immer dort. Immer zu dieser Stunde. Als wäre er Teil der Stadt selbst, eine lebende Chronik aus Fleisch, Feder und Zeit.
Sein Mantel war vom Wetter gezeichnet, sein Hut ebenso, doch in seinen Augen flackerte ein Licht, das älter war als jede Erinnerung. Die Falten in seinem Gesicht schienen sich nicht aus Kummer, sondern aus Weisheit gegraben zu haben – wie Risse im Stein, durch die die Wahrheit sickerte.
Vor ihm lag ein ledergebundenes Notizbuch. Kein gewöhnliches Buch, sondern eines, das Geschichten nicht nur festhielt, sondern ihnen Leben einhauchte. Die Seiten rochen nach Vanille, Staub, altem Papier – und nach etwas, das niemand benennen konnte. Vielleicht Magie. Vielleicht Zeit.
Er schrieb nicht. Er webte. Worte wie Fäden, die sich durch die Gassen zogen, unsichtbar, aber spürbar.
Geschichten, die sich unter den Schritten der Menschen entfalten, ob sie wollen oder nicht.
„Die Stadt atmet“, murmelte er, als eine Taube mit schimmernden Flügeln auf der Balustrade landete. „Und heute… wird sie sprechen.“
Er blickte zur Bank unter dem Jacaranda-Baum – die Bank der Schicksale, wie sie genannt wurde. Manche sagten, dort habe einst eine Kaiserin ihren Geliebten verlassen.
Andere glaubten, sie sei der Ort, an dem sich die Zeit selbst ein letztes Mal verneigt habe. Die Gravur auf der Rückenlehne war nur bei bestimmtem Licht zu erkennen: „Para sempre em cada instante.“ Für immer in jedem Augenblick.
Ein Wispern ging durch den Nebel.
Eine Frau trat aus der Dämmerung, kaum mehr als ein Umriss, der langsam Form annahm. Ihr Haar war zu einem Zopf gebunden, feucht vom Regen, und ihre Augen trugen einen Schmerz, der älter war als sie selbst. In ihren Händen ein Briefumschlag, vom vielen Berühren leicht gewellt. Ihre Schritte waren zögerlich, wie die einer, die Abschied nahm – oder vielleicht ein Versprechen einlöste,
das nie ausgesprochen wurde.
Sie legte den Brief auf die Bank, beinahe ehrfürchtig, als lege sie ihr Herz selbst dort ab.
„Es ist Zeit“, flüsterte sie.
Der Wind trug ihre Worte davon, hinein in die Bäume, die sie zu kennen schienen. Dann verschwand sie im Nebel – so lautlos, wie sie gekommen war. Seu Conto beugte sich über sein Notizbuch. Seine Feder
kratzte leise über das Papier, und es war, als entstünden die Zeilen nicht unter seiner Hand, sondern aus der Luft um ihn herum. Als schrieb er nicht, sondern hörte nur zu – einem Echo, das nur er verstand.
Dann kam der Mann.
Ein Mantel wie aus Nacht geschnitten, sein Blick zu ruhig für einen Fremden. Und doch war er nicht fremd. Nicht hier. Die Stadt erkannte ihn – oder erinnerte sich an ihn, als hätte er einst in ihren Schatten gelebt. Er sah den Brief. Zögerte. Nahm ihn auf. Drehte ihn zwischen den Fingern. Kein Ausdruck im Gesicht, nur ein leises Erkennen, das wie ein Riss durch seine Miene lief.
Vielleicht suchte er nicht den Brief. Vielleicht suchte er die Frau. Oder das, was sie hinterlassen hatte.
Er las nichts. Und doch verstand er. Mit einer Bewegung, fast zärtlich, ließ er das Papier in seiner Manteltasche verschwinden. Dann strich er mit den Fingerspitzen über die Gravur der Bank. „Für immer in jedem Augenblick.“
Die Glocke der Kathedrale schlug siebenmal. Der Tag war erwacht. Doch die Geschichte, die er bringen
sollte, schlief noch in den Herzen derer, die sie leben würden.
Im Café Imperial roch es nach Karamell, Mokka und jener Art von Wärme, die nur Orte verströmen, in denen Erinnerungen lebendig sind. Clara stand hinter dem Tresen, die Hände um eine dampfende Tasse gelegt, obwohl sie keinen Kaffee trank. Ihre Finger zitterten leicht.
Nicht vor Kälte.
Sondern wegen des Traums, der sie in der Nacht verfolgt hatte. Immer wieder derselbe Mann. Immer wieder dieser Blick, der etwas in ihr berührte, das sie längst verloren glaubte.
Eine Ahnung. Eine Warnung. Oder beides. Draußen fiel der Regen in Tropfen, die sich wie
Herzschläge anhörten. Ihre Großmutter hatte einmal gesagt: „Wenn es regnet, spricht die Stadt. Du musst nur zuhören.“ Damals hatte Clara gelacht. Heute fragte sie sich, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit darin lag.
Die Tür öffnete sich.
Er trat ein.
Der Mann aus ihrem Traum.
Sein Mantel war dunkel, sein Blick durchdringend. Als er sie sah, blieb er stehen – ein Moment, in dem die Zeit innehielt.
Keine Begrüßung. Kein Lächeln. Nur ein Wort, das nicht ausgesprochen wurde, aber in der Luft hing: „Du.“
Clara erschrak. Nicht vor ihm. Sondern vor sich selbst. Denn sie kannte ihn nicht – und doch wusste sie, dass er gekommen war, um etwas zurückzuholen. Oder um es ihr für immer zu nehmen.
„Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?“ Seine Stimme war ein Flüstern, das mehr fragte, als es sagte. Sie wollte verneinen. Doch dann sah sie den Brief in seiner Hand. Das Siegel. Ihr eigenes.
Seu Conto schloss das Notizbuch.
Ein Windstoß fuhr über den Platz, ließ die Blätter der Bäume tanzen. Im Schatten der Kathedrale schien sich die Zeit selbst zu kräuseln – ein unmerkliches Zittern im Gefüge der Wirklichkeit.
Er lächelte.
„Die Geschichte beginnt“, sagte er leise.
Und blätterte zur ersten Seite.
Clara war nie abergläubisch gewesen. Doch in diesem Moment – mit dem Brief in seiner Hand, mit dem Blick dieses Fremden, der ihr Herz zu kennen schien – begann sie zu zweifeln. An der Zufälligkeit des Lebens. An der Sicherheit der Vergangenheit. Und vor allem: an sich selbst.