Das letzte Stück Süßes
Das letzte Stück Süßes
Der Herbstwind fegte welkes Laub über den Asphalt und kräuselte die Säume meines Mantels. Vor mir lag die Amselstraße, eine stille Sackgasse, die nur an Halloween ihren eigenen, unheimlichen Charme entfaltete. In jedem Vorgarten glommen Kürbisse, deren flackernde Gesichter zynische Grüße in die Nacht warfen. Kinder in Geister- und Hexenkostümen huschten von Tür zu Tür, ihre Rufe nach „Süßes oder Saures“ hallten zwischen den kahlen Bäumen wider.
Doch ich, Kommissar Lennart Voss, war nicht hier wegen der Süßigkeiten. Am Ende der Straße stand die Villa Harlow – dunkel, ohne Licht, ohne Lachen. Hier war vor einem Jahr Alistair Finch ermordet worden. Der Täter: nie gefasst.
Ich wollte nur verstehen, was unerklärlich blieb. Vielleicht sprach die Nacht mit mir, wenn alles gleich war wie damals …
Die junge Frau, die mir öffnete, war Elara Finch, die Nichte des Opfers. Ihre Stimme zitterte kaum, als sie sagte: „Kommissar, der Fall ist doch abgeschlossen …“ – „Dies ist kein offizieller Besuch“, antwortete ich.
In der Bibliothek roch es nach Wachs und Vergangenheit. Über dem Kamin hing das Porträt des Toten. „Er liebte Halloween“, flüsterte sie. „Seine Spezialität waren Schokoladenfiguren – Einhörner, Drachen, Geister.“ Etwas in ihrem Ton schnitt tiefer als Trauer.
Ich erinnerte mich … an das Asservat: eine kleine Figur aus Schokolade. Ein Geist. Und plötzlich hielt sie ihn in der Hand – dunkel, glänzend, wie ein winziger Schädel. „Er nannte es sein Familienrezept“, sagte sie leise. „Aber es war das meiner Mutter. Er hat es gestohlen.“
Ihr Geständnis fiel so sanft wie Laub: „Wir stritten. Das Papiermesser lag da. Es war ein Unfall. Aber ich vollendete seine Serie. Ich legte ihm das letzte Stück in die Jacke.“ – Sie lächelte blass. „Ein Abschiedsgeschenk für den größten Lügner, den ich kannte.“
Dann brach sie ein Stück ab und kostete. „Süß … und so bitter zugleich.“