Geschichten aus Petrópolis,  Serie

Geschichten aus  Petrópolis

Geheimnisse der Kaiserstadt

  • Autor
    Marilia Grossmann
  • ISBN-13
    979-8319078605
  • Sprache
    Deutsch
  • Format
    Taschenbuch, E-Book
  • Verlag
    KDP Kindle
  • Abmessungen
    15.24 x 3.58 x 22.86 cm
  • Seitenanzahl
    561
  • Erscheinungsdatum
    11.04.2025
  • Kategorie
    Romane
  • Serie
    Band 1
  • Preis
    € 16,99 (Taschenbuch) / € 3,99 (E-Book)
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Eine Stadt, die ihre Geheimnisse nur langsam preisgibt…

Tief in den Bergen Brasiliens liegt Petrópolis – eine Stadt, in der die Vergangenheit niemals wirklich vergangen ist. In diesem ersten Band der atmosphärischen Kurzgeschichten-Serie erwachen die alten Gemäuer zum Leben und offenbaren ihre verborgenen Geschichten:

Ein alter Geschichtenerzähler auf der Parkbank kennt jedes Schicksal der Stadt – doch warum altert er nie?

Eine Historikerin entdeckt im Kaiserlichen Museum ein Tagebuch, das von einem verschollenen kaiserlichen Schatz erzählt… doch die Seiten verändern sich jedes Mal, wenn sie es liest

Ein Liebespaar findet in den Wänden ihrer Altbauwohnung Briefe aus dem 19. Jahrhundert – geschrieben in ihrer eigenen Handschrift

Nachts flüstern die Porträts in der Kathedrale São Pedro de Alcântara Geheimnisse über verbotene Romanzen

Ein Roman von

Marilia GROSSMANN

Der Regen trommelte unaufhörlich auf das schiefergedeckte Dach des Café Imperial, als der alte Geschichtenerzähler den Raum betrat. Die schwache Kerzenbeleuchtung flackerte und warf gespenstische Schatten an die Wände. Er hatte die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sofort – die greifbare Erwartung in der Luft ließ die Zeit stillstehen.
Die Gäste, die sich in dieser späten Stunde versammelt hatten, spürten: Dies war keine gewöhnliche Erzählung, sondern eine Geschichte aus den Abgründen der Vergangenheit, die niemals ganz in Vergessenheit geraten war.
„Die Legende, die ich euch heute erzähle“, begann der Mann, seine Stimme rau und voll von Geheimnissen, „ist eine, die sich in den Schatten der Geschichte verliert. Eine Geschichte von Liebe, Verlust und einem Fluch, der uns noch immer verfolgt. Sie beginnt mit der Prinzessin Isabel.“
Mit diesen Worten lenkte er die Gedanken der Zuhörer in eine längst vergangene Zeit, als Brasilien noch unter der Monarchie lebte. „Isabel, Tochter von Kaiser Pedro II., war mehr als nur eine Prinzessin. Sie war eine Frau von großer Weisheit und unermesslicher Schönheit. Doch ihre Geschichte wurde nicht nur von der Politik und den Verpflichtungen ihrer Familie bestimmt, sondern von einer verbotenen Liebe, die die Grenze zwischen Pflicht und Leidenschaft verwischte.“
„Man erzählt sich, dass sie in den letzten Jahren der Monarchie eine tiefe, unerfüllte Liebe zu einem Mann
namens Antonio de Souza hegte – einem verarmten Grafen. Ihre Herzen verbanden sich in einer Zeit der
politischen Turbulenzen, als der Thron von Brasilien kurz vor dem Sturz stand. Doch die Welt war zu grausam für eine Liebe wie die ihre. Isabel konnte sich nicht mit Antonio vereinen, und der Schmerz dieser Trennung zerriss sie.“
Der Geschichtenerzähler machte eine Pause und trank langsam einen Schluck Wasser, als ob er sich auf die Tragödie vorbereitete, die er gleich entfalten würde. „Doch das war nicht das Ende ihrer Geschichte. Denn Isabel, gequält von der Politik und der Liebe, die sie nicht leben konnte, traf eine Entscheidung, die das Schicksal für immer verändern sollte. In einem Akt verzweifelter Weisheit vergrub sie den Schatz der Tränen – ein Juwel von unschätzbarem Wert, das mehr als nur materiellen Reichtum barg. Der Fluch, den sie über das Juwel legte, sollte jene heimsuchen, die versuchten, sein Geheimnis zu lüften.“
Er beugte sich vor, als wolle er die Zuhörer in ein noch tieferes Geheimnis einweihen. „Der Schatz der Tränen war nicht nur ein Juwel. Er war ein Symbol ihrer Liebe, ihrer Verzweiflung, ihrer verlorenen Chance auf Glück. Und er wurde mehr als nur ein Erbstück der Vergangenheit. Der Fluch, der an das Juwel gebunden war, war mehr als nur ein Fluch des Unglücks – er war ein Fluch der Liebe. Wer immer versuchte, den Schatz zu finden, würde auch von der Liebe der Prinzessin verfolgt werden, von den Geistern der Vergangenheit, die niemals Ruhe fanden.“ „Und dann“, fuhr der Geschichtenerzähler mit leiserer Stimme fort, „gab es diejenigen, die behaupteten, das Geheimnis des Schatzes entdeckt zu haben. Aber sie kehrten nie zurück. Ihre Geister wandern noch heute durch die Straßen von Petrópolis, und der Fluch lebt weiter.
Doch der wahre Schlüssel zum Schatz liegt nicht in Gold oder Edelsteinen. Der wahre Schlüssel liegt in der
Synästhesie, in der Fähigkeit, die Vergangenheit in lebendigen Bildern zu sehen. Isabel selbst trug diese Gabe, die in den Händen eines Erben erneut aufleben wird.“ Ein eisiger Hauch durchfuhr den Raum, als der Geschichtenerzähler eine bedeutungsvolle Pause einlegte.
„Und nun, in der Gegenwart, gibt es eine junge Frau, die das Erbe dieses Fluchs antreten wird: Luciana. Sie ist diejenige, die das Geheimnis des Schatzes lüften wird. Doch wird sie den Preis zahlen müssen, den Isabel nicht zahlen konnte? Wird sie die Geister, die den Fluch bewachen, besiegen? Und wird sie der Liebe entkommen, die sie genauso wie die Prinzessin verzehren wird?“
Der alte Mann stand auf und trat langsam von Tisch zu Tisch. „Der Fluch lebt in uns allen, und Luciana wird der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels sein. Doch der Weg, den sie betreten muss, wird sie zu den tiefsten Ecken ihrer eigenen Seele führen. Wird sie die Vergangenheit verstehen – oder wird sie sich verlieren?“
Er wandte sich ab und fügte mit einem letzten, fast flüsternden Ton hinzu: „Die Antwort auf diese Frage wird die Geschichte von Petrópolis und aller, die sie bewohnen, für immer verändern.“
Dann setzte er sich wieder an seinen Platz und senkte den Blick. Seine Worte hatten die Luft im Raum verdichtet – ein Flüstern von Geistern, von Sehnsüchten und gebrochenen Versprechen. „Doch für heute“, murmelte er, „ist dies alles, was ihr wissen müsst.“
Der Geschichtenerzähler verstummte. Die Dunkelheit, die den Raum umhüllte, schien die Zeit selbst zu verschlingen. Ein einzelner Blitz zuckte am Horizont auf, und für einen kurzen Moment schien es, als ob die Wände des alten Café Imperial in einem silbrigen Licht erstrahlten, das die Schatten der Vergangenheit lebendig werden ließ. Luciana, die die Erzählung mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt hatte, erhob sich plötzlich. Ihr Herz pochte heftig. Die Worte des Geschichtenerzählers hatten etwas in ihr geweckt – ein Gefühl der Verbindung, das sie nicht erklären konnte. Sie fühlte, dass ihr Schicksal in irgendeiner Weise mit der Prinzessin Isabel und ihrem geheimen Schatz verwoben war.
„Der Schatz der Tränen…“, flüsterte Luciana, als sie die Türen des Cafés hinter sich schloss und in die regennassen Straßen trat. „Vielleicht sind wir alle nur Teile einer Geschichte, die niemals endet.“
Der Regen hatte die Straßen Petrópolis‘ in silberne Spiegel verwandelt, in deren Flächen sich die Gaslaternen wie ertrunkene Sterne wiederfanden. Mit jedem Schritt schien Luciana tiefer in eine andere Zeit zu treten – die Pflastersteine fühlten sich plötzlich uneben an, als lägen darunter nicht Erde, sondern die vergrabenen Tränen der Prinzessin.
Ein Windstoß wirbelte ein vergilbtes Stück Papier gegen ihr Bein. Als sie es aufhob, erkannte sie eine fragmentarische Notiz in altmodischer Schrift: „…das Juwel darf niemals im Licht des Vollmonds… „Der Rest war vom Regen ausgelöscht. Ihre Finger brannten plötzlich, wo sie das Papier berührte – nicht wie Feuer, sondern wie der Kuss eines Winters vor über hundert Jahren.
Aus dem Augenwinkel sah sie eine Bewegung in einem vergitterten Kellerfenster. Nicht ihr eigenes Spiegelbild, sondern das flüchtige Profil einer Frau im hochgeschlossenen Kleid, deren Augen denselben
schmerzerfüllten Blick trugen, den Luciana seit Wochen in ihren eigenen Träumen fand. Dann zuckte ein Blitz, und das Gesicht war fort. „Isabel?“ Der Name entglitt ihren Lippen, bevor sie ihn zurückhalten konnte. Irgendwo in der Nähe klirrte eine Scheibe, als ob etwas – oder jemand – auf dieses Erkennen
gewartet hatte. Der Regen fiel in Strömen, doch Luciana spürte eine merkwürdige Erleichterung. Der Weg vor ihr schien klarer zu werden, und das Bild der Prinzessin, gefangen in einem Netz aus Liebe und Geheimnissen, verfolgte sie, während sie tiefer in die Geheimnisse von Petrópolis vordrang.
Denn die Entdeckung war erst der Anfang – und der wahre Fluch hatte gerade erst begonnen, sich zu entfalten. Und so begann Lucianas Reise…
Die Straßen von Petrópolis schienen sich zu verändern, als Luciana weiterging. Die Schatten der Häuser wurden länger, die Geräusche der Stadt gedämpft, als würde sie durch eine unsichtbare Barriere treten. Plötzlich stand sie vor einem alten Herrenhaus, dessen verblasste Fassade von Efeu überwuchert war. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, als erwarte man sie. Ein leises Flüstern drang aus dem Inneren – eine Stimme, die ihren Namen rief. Luciana wusste, dass sie keine Wahl hatte. Wenn sie die Wahrheit über den Schatz der Tränen erfahren wollte, musste sie eintreten.
Doch was sie dort finden würde, war mehr als nur ein vergessenes Juwel. Es war das Echo einer Liebe, die niemals gestorben war – und eines Fluches, der sie für immer verändern würde.