Dark Romance

DIE CHRONIKEN VON AERION

Die erste Flamme

  • Autor
    Marilia Grossmann
  • ISBN-13
    979-8298802451
  • Sprache
    Deutsch
  • Format
    Taschenbuch, E-Book
  • Verlag
    KDP Kindle
  • Abmessungen
    12.7 x 2.11 x 20.32 cm
  • Seitenanzahl
    330
  • Erscheinungsdatum
    19.08.2025
  • Kategorie
    Fantasy / Dark Fantasy
  • Serie
    Band 1
  • Preis
    € 14,99 (Taschenbuch) / € 2,99 (E-Book)
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Die Erste Flamme ist entzündet – und mit ihr erwacht das Ringen zwischen Erinnerung und Vergessen.

Seit Anbeginn der Zeit wird Aerion von den Chronisten gehütet – Bewahrer der Namen, Wächter der Geschichten, Hüter der Ersten Flamme. Doch nun beginnen die Chroniken selbst zu zerfallen: Worte verschwinden, Namen verblassen, ganze Kapitel werden leer. Es ist das Werk des Vergessers, einer uralten Macht, die zurückkehrt, um das Gedächtnis der Welt auszulöschen.

Mira Dornkind, eine junge Schreiberin des Archivs, entdeckt die ersten leeren Seiten und wird wider Willen zur Zeugin eines drohenden Untergangs. Gemeinsam mit Luca und einer Schar Gefährten begibt sie sich auf eine Reise, die sie weit über die Grenzen des Bekannten hinausführt: zu den Glocken ohne Stimme, den Feldern des Schweigens, den Hallen der Ersten Stille und schließlich an den Ort, an dem der letzte Bund geschlossen werden muss.

Doch jede Erkenntnis fordert Opfer, jede Wahrheit verlangt einen Preis. Und während die Erste Flamme flackert, stellt sich Mira die Frage: Was bleibt von einer Welt, wenn die Namen selbst vergehen?

Die Erste Flamme ist der Auftakt der epischen Dark-Fantasy-Saga Die Chroniken von Aerion – ein Roman voller mythischer Bilder, uralter Prophezeiungen und Entscheidungen, die über Hoffnung und Untergang entscheiden. Für Leserinnen und Leser, die Tolkien lieben, für alle, die sich nach sprachlicher Tiefe, archaischer Düsternis und dem Zauber großer Welten sehnen.

Ein Fantasy Roman von

Marilia GROSSMANN


Die Stadt atmete, ohne dass jemand den Atem zählte, und über den Dächern hing die Krone wie eine feine, dunkle Sichel, die nicht schnitt, sondern behutsam die Ränder des Himmels abtastete, als prüfe sie, ob das Firmament noch die Geduld besaß, Sterne zu tragen.

In den Straßen von Irengrad klapperten die Märkte später als sonst und schlossen früher, nicht weil Mangel war, sondern weil die Hände müde geworden waren vom Greifen und eine Weile lernen wollten, wieder zu bitten.

Auf dem Platz der schiefen Waagen balancierte die Luft, unbemerkt von den meisten, doch anwesend wie eine zusätzliche, unsichtbare Schale, die Übergewicht heimatlos machte.

Die Erste Flamme war nicht mehr zu sehen und dennoch überall – ein kühler Ursprung, der das Gras am Morgen länger blinken ließ, als die Sonne es vermochte. Und wenn die Nacht kam, konnte man in den Gassen der Toten den Schatten mancher Namen einen Finger breit von den Türpfosten abstehen sehen, als hätten sie begriffen, dass nahe sein nicht dasselbe ist wie kleben.

An der Glasfurt, die wie ein wanderndes Gelenk im Fluss lag, stand das Wasser so still wie jemand, der zuhört. Zwischen den Kieseln, aus denen der Strom seine Spreu wählt, blieb an einer Stelle die Strömung weich – die Stufe des Gefährten nannten es die Kinder, obwohl niemand ihnen den Namen gegeben hatte –, eine Mulde, gerade tief genug, dass ein Atem den anderen erwartete.

Wenn man des Abends dort die Hand ins Wasser hielt, spürte man bisweilen ein Flimmern, das nicht von Kälte war und nicht von Fischen, sondern von einer Silbe, die in die Welt eingebunden worden war.

In den Höfen, die der Staub liebte, weil es dort Geschichten gab, die niemand aufschrieb, setzte man eine neue Art von Lampen auf die Schwellen: keine Feuer, die die Nacht vertreiben, sondern warme Steine, die die Nacht annehmen. Manch einer, der sein Heim betrat, legte den eigenen Namen für die Dauer eines Essens daneben – wie man ein Messer beiseitelegt, wenn man satt ist.

Auf den Feldern, die den Regen schon oft vergeblich gerufen hatten, wuchs das Korn nicht schneller, aber es wuchs anders, als wüsste es, dass es mit dem Brot nicht zu Ende sei. Die Bauern, die ihre Hände nicht schonen konnten, ließen sie nun länger im Boden, ohne zu graben – nur um zu hören, was unbeackerte Erde erzählt.

Mira Dornkind ging durch all dies, nicht als Heldin, deren Schritt Pflaster lehrt, still zu sein, sondern als eine, die die Stille nicht für Schweigen hielt. Manchmal, wenn sie an einer Ecke stehen blieb, um die Luft zu prüfen, konnte man sehen, wie die Krone über ihr einen kaum merklichen Neigungswinkel annahm, als halte sie eine Waage hin und fände kein Gewicht, das Urteil verdiente.

Im Archiv der Märwiesen, das seine Bretter wie geduldige Rücken hielt, lagen aufgeschlagene Seiten, die kein Tintenmal trugen und doch dunkler waren als die geschlossenen. Wer seinen Finger darüber strich, spürte, was es heißt, eine Geschichte dort zu lesen, wo sie noch nicht geschrieben wurde.

In dieser Unschrift stand manchmal ein Hauch, der an Lucas Namen erinnerte – nicht als Laut, nicht als Buchstabe, eher als die Wärme auf einer Schulter, die nicht die eigene ist.

In der Halle der Namen, wo die Zeit den Mantel ablegt, bevor sie eintritt, stand der Chronistenälteste an einem Pult, das niemand gebaut hatte, und hielt die Hände über eine leere Fläche, in der die Linien der Wege lagen wie flache Flüsse. Wenn er die Finger hob, fügten sie sich ein, und wenn er sie senkte, lösten sie sich wieder, damit sie nicht zu früh vertraut würden.

Die Glocken ohne Stimme, die in den Türmen wohnten, die keine Treppen haben, gaben an drei Abenden nacheinander einen Ton von sich, den man nur mit dem Bauch hörte. Die Kinder legten die Stirn auf die Tischplatten, um die Schwingung darin zu beobachten, als tropfe jemand unsichtbar an die Unterseite der Welt.

Die Maskenhalle, die noch einmal in der Ferne einen Spiegel aufgeschlagen hatte, zeigte Gesichter, die ihre Namen hinters Licht hielten, nicht aus Scham, sondern aus Neugier. Und wenn der Wind drehte, sah man dort für einen Augenblick die alte Angst aufleuchten – die Angst, dass ohne festgebundenen Namen nichts bleibt. Doch gleich darauf senkte sich die Krone wie ein Nachtvogel in dieses Zucken und trug es in die Ruhe, die nicht schläfert.

So lernten auch die Ragazzi der Hintergasse, die ihre Stimmen bisher wie Steine warfen, eine Weile die Hände in die Taschen zu stecken – nicht um Waffen zu verstecken, sondern um die Finger aneinander zu gewöhnen, wenn sie nichts greifen.